Sonntag, 14. Juni 2009

Kölner Stadt-Anzeiger berichtet über den Gerichtstermin gegen Pfizer
























Liebe Leser,

kurz vor dem Gerichtstermin am 10. Juni hat der Kölner-Stadt-Anzeiger hierüber berichtet.
Ein Medikament und ein Selbstmord

Das Pharmaunternehmen Pfizer bestreitet die Vorwürfe im konkreten Zusammenhang

Weil seine leicht depressive Frau sich das Leben nahm, klagt Lothar Schröder gegen den Pharmariesen Pfizer. Das Landgericht Köln hat zu entscheiden, ob Pfizer interne Unterlagen offenlegen muss.

VON DETLEF SCHMALENBERG

Als er seine Frau das letzte Mal lebend gesehen hat, lag sie im Halbschlaf im Bett. Normalerweise stand Monika immer mit auf, wenn Lothar Schröder vor der Arbeit frühstückte. Diesmal jedoch blieb sie liegen. Als er sich von ihr verabschiedete, antwortete sie nicht.


Es war Donnerstag, der 21. April 2005, die Sonne lachte vom Himmel. Im Radio sprachen die Kommentatoren über Josef Kardinal Ratzinger, der zwei Tage zuvor als Benedikt der XVI. zum Papst gewählt worden war. Das sei ein sehr altmodischer Mann, der jetzt Oberhaupt der römisch-katholischen Kirche wurde, hieß es im Radio.

Doch Schröder hörte nur mit einem Ohr zu. Auf dem Weg zur Arbeit dachte er an seine Frau. Dass sie so schweigsam war an diesem Morgen. Dass sie schon in den vergangenen Tagen so niedergeschlagen gewirkt, sich nachts jedoch unruhig im Betthin- und hergewälzt hatte.


Monika Schröder war leicht depressiv, hatte ihre Psychopharmaka aber auf Anraten ihrer Ärztin wieder abgesetzt, weil sie die Tabletten nicht vertrug. Da sie das Medikament
in einer verhältnismäßig geringen Dosis eingenommen hatte, müsse es auch nicht langsam „ausgeschlichen“ werden, hatte die Medizinerin gesagt. „Die wird schon wissen, was sie macht“, dachte Schröder. Als er nach dem Mittagessen zurück in sein Büro kam, hatte ein Kollege einen Zettel auf seinen Schreibtisch gelegt. Er solle dringend bei seinem Schwager anrufen, der gleichzeitig sein Nachbar ist. „Komm' nach Hause, Monika ist tot“, sagte eine tränenerstickte Stimme am Telefon. Die 49-Jährige hatte sich das Leben genommen. Nur 200 Meter von ihrem Haus im Kölner Stadtteil Höhenhaus entfernt hatte sie sich von einem Güterzug überrollen
lassen.


Wenn Lothar Schröder von den Ereignissen dieses Tages berichtet, braucht man keine Zwischenfragen zu stellen. Er erzählt und erzählt, als ob es gestern gewesen wäre. Akribisch bemüht er sich, auch ja kein Detail zu vergessen.

Weil es keinen offensichtlichen Grund für den Selbstmord gegeben habe, sei ihm sofort „dieses Medikament in den Sinn gekommen“, sagt er. Monika Schröder nahm im April 2005 das Anti-Depressionsmittel Zoloft, täglich eine halbe Pille. Es war der zweite Anlauf. Etwa acht Wochen zuvor hatte sie die Tabletten schon einmal probiert, aber wieder abgesetzt, weil sie nicht mehr schlafen konnte und Schweißausbrüche bekam. In der Zwischenzeit hatte sich ihre Depression zwar auch ohne Psychopharmaka gebessert. Um keinen Rückschlag zu bekommen, sagte ihre Neurologin, solle sie es vorsorglich aber doch noch einmal mit Zoloft versuchen. Nach zwei Wochen indes waren die Nebenwirkungen wieder so stark, dass das Medikament abgesetzt
werden musste. 48 Stunden später war Monika Schröder tot.


Noch unter Schock begann ihr Mann mit der Recherche. Im Internet fand er Berichte über Zoloft. Die Tabletten gehören zur Medikamentenklasse der „selektiven Serotonin-
Wiederaufnahmehemmer“ (englische Abkürzung: SSRI). Und die amerikanische Medikamentenaufsichtsbehörde FDA hatte die Hersteller dieser Mittel in den USA bereits
im Herbst 2004 dazu verpflichtet, auf ein erhöhtes Suizidrisiko zumindest
bei Kindern und Jugendlichen hinzuweisen.


Im September 2004, so erfuhr Schröder später, hatte die „Arzneimittelkommission der deutschen Ärzteschaft“ im „Deutschen Ärzteblatt“ darüber informiert, dass bei
SSRI-Medikamenten nach Ansicht von Experten „ein Risiko suizidaler Handlungen grundsätzlich und unabhängig vom Alter angenommen werden muss“. Durch die Tabletten könnten „psychomotorische Erregungssymptome wie Unruhe, Angst, Schlaflosigkeit, verstärkte Reizbarkeit, Aggressivität oder auch Ich-fremde dranghafte Suizidideen“ entstehen. Diese Informationen sollten im Beipackzettel sowie in die zusätzlichen „Fachinformationen“ für behandelnde Mediziner aufgenommen werden.


Das Paradoxon, dass die Medikamente das, was sie verhindern sollen, auslösen können, erklärt Bruno Müller-Oerlinghausen, Psychopharmakologe bei der Arzneimittelkommission, mit der Unterschiedlichkeit von Selbsttötungsursachen. Die Vorstellung, dass sich die meisten Menschen umbringen, nachdem sie eine verheerende Bilanz über ihr Leben gezogen haben, stimme nicht
immer. Der emeritierte Professor aus Berlin: „Suizidalität kann offenbar auch eine chemisch-biologische Ursache im Gehirn haben.“ Beispielsweise ausgelöst durch die Inhaltsstoffe eines Medikamentes, könne die „Aggressivität gegen das eigene Ich“ zumindest zeitweise extrem gesteigert werden.

Eine Anzeige von Schröder wegen fahrlässiger Tötung und Verstoßes gegen das Arzneimittelgesetz gegen die Pfizer GmbH, die im Beipackzettel für Zoloft heute vor einem
erhöhten Suizidrisiko für Menschen bis zu 25 Jahren warnt, blieb im März 2006 jedoch erfolglos. Die Staatsanwaltschaft Karlsruhe lehnte die Eröffnung eines Ermittlungsverfahrens ab, die Behörde folgte der Sichtweise des Pharmariesen. Unter anderem wurde argumentiert, dass die Gefahr eines erhöhten Suizidrisikos bei „älteren Erwachsenen“ über 25 Jahre wissenschaftlich nicht belegt sei. Pfizer erklärte auch auf Anfrage des „Kölner Stadt-Anzeiger“, die Medikamenteninformationen seien immer nach den gesetzlichenVorgaben sowie den „aktuellen
medizinischen Erkenntnissen aktualisiert“ worden, um sicherzustellen,
den „jeweiligen Stand des medizinischen Wissens zu reflektieren“. Zudem gebe es keinen Beweis dafür, dass Zoloft der Auslöser für den Selbstmord von Monika Schröder gewesen sei, die zudem noch ein ähnlich wirkendes Medikament genommen habe, heißt es in einem Schreiben an die Justiz.


„Fakt ist, dass meine Frau das Mittel niemals genommen hätte und wenn doch, ich sie niemals alleine gelassen hätte, wenn wir von dem Risiko gewusst hätten, das in anderen
Ländern bereits kommuniziert wurde“, entgegnet Schröder unbeirrt. Als Marathonläufer und Doktor der Mathematik hat der 46-Jährige gelernt, hartnäckig zu sein. Nachdem auch Beschwerden gegen die Entscheidung der Staatsanwaltschaft erfolglos blieben, beantragte er Akteneinsicht beim „Bundesinstitut für Arzneimittel und Medizinprodukte“, das Zoloft 1996 zugelassen hat. Drei Jahre brauchte die Behörde, bis sie einen Termin nannte. Auf die Frage, weshalb dies so lange gedauert hat, erhielt der „Kölner Stadt-Anzeiger“ keine konkrete
Antwort. Es wurde in soweit lediglich darauf hingewiesen, dass eine Einsichtnahme „nur bei Vorliegen gesetzlicher Voraussetzungen“ gewährt werden könne.

„Dass dies so lange gedauert hat, ist ohne Zweifel ein Skandal. Die meisten Leute hätten doch schon längst aufgegeben“, kritisiert Professor Müller-Oerlinghausen, der Schröders Recherchen mittlerweile unterstützt und ihn kommenden Monat bei der Einsichtnahme am Bundesinstitut begleitet.
„Ich finde es gut, dass ein Bürger für sein Recht kämpft“, betont der Wissenschaftler. Für ihn liege „der Verdacht nahe, dass die Ehefrau durch eine mögliche Nebenwirkung
des ansonsten sinnvollen Mittels zu Tode gekommen ist“. Zwar gebe es keine klinischen Studien, die eine erhöhte Selbstmordgefahr auch bei älteren Patienten beweise. „Aber
wir kennen eine Reihe von Einzelfällen, bei denen an einem kausalen Zusammenhang nicht gezweifelt werden kann“, so der Professor. Das Anliegen, herauszufinden, „ob das Wissen um diese Nebenwirkung nicht so rechtzeitig bekannt war, dass es in adäquater Form von der
Firma und den Behörden hätte mitgeteilt werden können“, sei „mehr als berechtigt“.


Dies meint offensichtlich auch das Landgericht Köln. Dort hatte Schröder geklagt, weil er außer
beim Bundesinstitut noch sämtliche Zoloft-Unterlagen beim Hersteller Pfizer einsehen wollte. Der Pharmariese indes hat die Klage als unbegründet zurückgewiesen. Es gebe keinerlei Beweise dafür, dass der Selbstmord durch Zoloft ausgelöst wurde. Die „naheliegendste Ursache“
für den Freitod der Patientin sei deren depressive „Grunderkrankung“, bei der „das Risiko eines Suizides bedauerlicherweise zum Krankheitsbild“ gehöre. Für die 25. Zivilkammer des
Landgerichts Köln, die Anfang nächsten Monats über den Fall verhandeln will, scheint zumindest der Wunsch Schröders, die internen Akten des Pharmaunternehmens lesen zu dürfen, berechtigt zu sein. Die Einsichtnahme beim Bundesinstitut alleine reiche jedenfalls nicht aus,
um den Auskunftsanspruch des Klägers zu erfüllen, heißt es in einer Verfügung. Denn der Zulassungsbehörde würden nicht sämtliche Unterlagen des Medikamentenherstellers vorliegen.